Landessysteme: Neue Entwicklung in Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein

14.01.2014

Baden-Württemberg

„Eckpunkte zur Neugestaltung des Übergangs von der Schule in den Beruf in Baden-Württemberg“ - Eine kritische Würdigung

Ein breites Bündnis für Reformen

Solch ein breites Bündnis für eine Bildungsreform hat Baden-Württemberg noch nicht gesehen! Dies alleine verdient hohe Anerkennung. Die Steuerungsgruppe des Ausbildungsbündnisses BW, die das Eckpunktepapier fachlich erarbeitet hat und ihre Bündnispartner, bis hin zum Landtag, haben damit eine wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung der Reformvorschläge geschaffen. Schon damit haben sie sich verdient gemacht.
Zugleich hat das Ausbildungsbündnis im Arbeitsprozess erfahrene Praktiker/innen der Kommunalen Koordinierung angehört. Sie wurden, Dank des Engagements des Städtetages BW, als Praxisexperten/-innen phasenweise in die Beratung einbezogen. Der solchermaßen begonnene Dialog zwischen kommunaler und Landesebene wurde von allen Beteiligten als anregend und fachlich bereichernd erlebt. Das ruft nach einer Fortsetzung!

Wichtige Reformschritte und Nachbesserungsbedarf

Inhaltlich dürfen die Reformvorschläge ganz überwiegend als großer Fortschritt gelten, obgleich Kritikpunkte bleiben. Die Systematisierung und Intensivierung der Berufsorientierung in der allgemein bildenden Schule, die Straffung und zielgruppenspezifische Neuordnung der Übergangsmaßnahmen und ihre konsequente Dualisierung, eine Art Ausbildungsgarantie für alle ausbildungsreifen Jugendlichen, die keinen Ausbildungsplatz finden sowie die Anerkennung der Rolle der Kommunen sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. Gleiches gilt für die Grundausrichtung und den „Motor“ der Reformen, nämlich für das Ziel Mehr Direktein-stiege in duale Berufsausbildung. Dennoch liegen hier auch Gefahren: Wer verteidigt die jungen Menschen mit ihren individuellen Bedürfnisse, Wünsche und Ziele vor einer mächti-gen ökonomischen Handlungslogik, die sie primär als Arbeitskräfte zur Sicherung des Fachkräftebedarfs ansieht? Die historische Chance für ein breites Reformbündnis, das der drohende Fachkräftemangel beschert, muss genutzt werden – natürlich. Die Reformperspektive muss jedoch über die Interessen der Wirtschaft hinaus, geweitet bleiben: Es muss immer genauso auch um gute Bildung für alle Jugendliche und um ihr Recht auf selbstbestimmte Entwicklung und Bildung gehen. Jugendliche – und ihre Eltern, deren systematische Beratung und Beteiligung noch in das Reformmodell aufzunehmen wären – müssen von der Qualität und den Chancen der (dualen) Berufausbildung überzeugt und gefördert werden.


Aber für junge Menschen ist der Übergang Schule-Beruf immer auch eine Entwicklungsaufgabe, für die sie Raum und Zeit benötigen – ohne unnötig „Schleifen zu ziehen“. Bildungsan-gebote und Unterstützung müssen so gestaltet werden, dass sie individuelle Potenziale entdecken (helfen), Kompetenzen fördern und individuelle Orientierungs- und Lernprozesse gut unterstützen. Wenn das gelingt, dann wird die angestrebte Neugestaltung eine wirklich große Reform! Dieser Anspruch muss sich insbesondere beweisen an der Förderung von Jugendlichen mit chancenarmen oder gebrochenen Bildungsbiografien, die auf dem dualen Ausbildungsmarkt kaum Möglichkeiten haben. Die Garantie einer außerbetrieblichen, dualen Berufsqualifizierung (BQ dual) wäre hier ein großer Schritt voran.

Gedrosseltes Reformtempo: Warum nur ein Modellversuch?

Trotz ambitionierter Handlungsempfehlungen für die Reform, kommt das Umsetzungskonzept – soweit schon erkennbar – eher zögerlich daher. Statt dem systematischen Aufbereiten der vielfach vorhandenen Reformmodelle und Erfahrungen in Baden-Württemberg und in anderen Bundesländern (s. NRW, Hamburg, Schleswig-Holstein, Sachsen) und deren Transfer in die Fläche, startet die Neugestaltung zunächst nur mit einem Modellversuch an wenigen Standorten. Gerade weil die Vorschläge gut sind und der Handlungsdruck vor Ort groß, ist der Reform zu wünschen, dass angesichts dieser langen Zeitschiene der aktuelle Reformschwung nicht verloren geht. Zu hoffen ist, dass die Entscheidung für das Vorschalten einer Modellphase weder der „Angst vor der eigenen Courage“, noch einem Mangel an Ressourcen geschuldet ist, sondern nur dem Wunsch nach einer fachlich soliden Entwicklung und Ausreifung der Neugestaltung.

Bedeutung der Kommunalen Koordinierung anerkannt – ein Stück weit

Dass das Land und die Bündnispartner die regionale bzw. kommunale Mitverantwortung für die Ausgestaltung des Übergangs Schule-Beruf sowie die strategischen Aufgaben, die Kommunen im Übergangsbereich stemmen, im Eckpunktepapier anerkennen (S.11), ist ein wichtiger Schritt.
Die Kommunen und ihre örtlichen Partner in Wirtschaft, Bürgergesellschaft, Bildung und Sozialer Arbeit erleben die Folgen einer gelungenen – oder misslungenen – regionalen Über-gangsgestaltung ja hautnahe und sind davon direkt betroffen. Das motiviert auch in Baden-Württemberg viele Kommunen seit Jahren, sich in diesem Handlungsfeld gestaltend und moderierend zu engagieren. Diese Städte und Landkreise nutzen dabei, wo möglich, zumeist befristete Förderprojekte und -programme, da sie diese wichtige Aufgabe alleine nicht finanzieren können. So sorgen sie, ganz nebenbei, dafür, dass Fördermittel vom Land, Bund, EU und Stiftungen zielgerichtet und wirksam eingesetzt.
Trotz der ausgereiften Praxis Kommunaler Koordinierung in zahlreichen Städten Baden-Württembergs und der vielen Kommunen, die gut auf dem Wege sind, gilt Kommunale Koordinierung im Eckpunktepapier als ein wünschenswertes und sinnvolles Extra, aber nicht als einen Pflichtbaustein der Übergangsreform. Damit bleibt das Land hinter den Entwicklungen in anderen Bundesländern zurück (s. NRW, Sachsen, Schleswig Holstein).

Rolle und Ressourcen der Kommunalen Koordinierung bedürfen weiterer Klärung
In der Folge bleibt die für das Gelingen der Neugestaltung des Übergangs so wichtige Kommunale Koordinierung im Eckpunktepapier ohne Aussicht auf eine verlässliche Mitfinanzierung durch das Land. Damit sind die engagierten Kommunen auf Projekt-Förderprogramme verwiesen, an denen jedoch nicht alle Kommunen partizipieren können. Es fehlt also an gleichen Voraussetzungen und es fehlt an Mindeststandards bzw. Qualitätskriterien für Kommunale Koordinierung in der Fläche – bzw. für das Übergangsmanagement Schule-Beruf, wie das mancherorts heißt.


Mit der halbherzigen Anerkennung der Rolle Kommunaler Koordinierung für die Umsetzung der Reformen verliert die Neugestaltung an Zugzwang, weil sie die Potenziale eines starken Befürworters der Reformen vor Ort unausgeschöpft lässt. Bei entsprechender Einbindung und Förderung könnten die Kommunen und die lokalen Verantwortungsgemeinschaften/Kooperationsnetzwerke vor Ort als Motor und Moderator der Neugestaltung wirken und maßgeblich zur Konzept- und Qualitätsentwicklung beitragen. – Diese Chance wird, trotz der prominenten Nennung von „Regionaler Verantwortung und Vernetzung der Akteure vor Ort“ im Umsetzungskonzept (Kap. IV) versäumt. Hier muss nachgebessert werden.

Ausgesprochen positiv fällt deshalb auf, dass der Städtetag Baden-Württemberg im Eck-punktepapier ausdrücklich eine Mitfinanzierung Kommunaler Koordinierung durch das Land anmahnt. Dort heißt es: „Der baden-württembergische Städtetag hält für die Umsetzung eines regionalen Übergangsmanagements ein Förderprogramm zur kommunalen Koordinierung für erforderlich.“ Geprüft werden soll eine Vereinbarung mit den kommunalen Landesverbänden und der Regionaldirektion der BA, „mit dem Ziel, dass in Stadt- und Landkreisen ein koordiniertes Übergangsmanagement installiert wird.“ (S. 11f, Eckpunktepapier).

Im Weiteren schlägt das Eckpunktepapier vor, auf Landesebene zu prüfen, ob Entwicklungs-partnerschaften Land Kommune Agentur vereinbart werden können, was wir ausdrücklich unterstützen. – Konsequenterweise sollte spätestens während der Laufzeit der Modellvorhaben Kommunale Koordinierung in den Modellstandorten als einen Pflichtbaustein der Reform eingerichtet werden, und zwar stets gut anschließend an die vorhandenen lokalen/regionalen Strukturen. Zudem müsste die Arbeit der Kommunalen Koordinierung genauso in die Evalua-tion der Modellstandorte eingezogen werden, wie andere Reformbausteine, um den Beitrag der Kommunen, ihre Rolle und Funktion auf kommunaler Ebene und im Dialog mit dem Land besser auszuleuchten, zu verstehen und zu würdigen.

((Eckpunktepapier als download!!))

 

 

 

Schleswig-Holstein

Schleswig-Holstein: Auf halbem Weg?

Schleswig – Holstein stand in den vergangenen Jahren für einen klaren Kurs auf Kommunale Koordinierung im Übergang Schule – Arbeitswelt und auf die Chance für „gleiche Augenhöhe“ zwischen Land und Kommunen bei der Gestaltung gelingender Übergänge1). Diese Hoffnung wurde auch dadurch genährt, dass kurz nach Amtsantritt des vormaligen Kieler Oberbürgermeisters Torsten Albig als Ministerpräsident das Kabinett einer interministeriellen Arbeitsgruppe den Auftrag zu einem Vorschlag für eine inhaltliche und organisatorische Neuausrichtung des Übergang Schule – Beruf erteilte. 

Mittlerweile hatte sich die Mehrzahl der Städte und Kreise in S-H auf den Weg in Richtung auf eine koordinierende Verantwortungsübernahme gemacht – als Weiterentwicklung aus dem Handlungskonzept Schule- Arbeitswelt heraus und unterstützt durch einen engen fachlichen Austausch zwischen dem Land, der Agentur für Arbeit, den Städten und Landkreisen und weiteren Akteuren ( im sogenannten „Plöner Kreise“). 

Nach einigen Verzögerungen wurde der Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe im Oktober vorgelegt und am 22.10.2013 vom Landeskabinett zustimmend zur Kenntnis genommen. Die Lektüre zeigt: der „Bericht“ enthält gute Ansätze, weniger für eine inhaltliche als für die organisatorische Neuausrichtung des Übergangs, ist aber noch erheblich von einem tragfähigen Konzept entfernt. Insbesondere trifft dies für die Rolle der Städte und Kreise zu. 

Künftig soll es zwar ein „Zwei-Ebenen-System“ geben, das der regionalen Ebene ein deutlich erweitertes Gewicht zuweist. Weder aber ist im „Bericht“ von Kommunaler Koordinierung die Rede, noch wird nur ein einziges Wort über die Ressourcenausstattung „vor Ort“ verloren. Die lokale Ebene erscheint außerdem im beigefügten Organigramm eher als „ausführend“, denn als „auf gleicher Augenhöhe“. Der Vorschlag fällt also hinter die schon erreichte Praxis in S-H zurück. 

In dieser Hinsicht als „enttäuschend“ bezeichnet deshalb Heiner Bernhard, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft, in einem Schreiben an Ministerpräsident Albig das vorliegende Papier und drückt die Hoffnung aus, dass dies nicht das Ende der Neuausrichtung sei. 

Allerdings: das im Vorschlag benannte neue Lenkungsgremium wird gleich nach der Jahreswende erstmals zusammen gerufen, während gleichzeitig die – bescheidene – Landesförderung für die „Koordinierung vor Ort“ und die Unterstützung und Begleitung (Stichwort: Systemqualifizierung) ausläuft – bisher ohne Ersatz. 

Auch die Landeshauptstadt Kiel und der Landrat des Kreises Dithmarschen haben in Schreiben an die Landesregierung auf die Defizite hinsichtlich der kommunalen Rolle nachdrücklich hingewiesen.

Nachzulesen:

- Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe zum Übergang junger Menschen von der Schule in Ausbildung und Arbeit, Kiel/Oktober 2013 (Download)

- „Übergangsgestaltung in Schleswig-Holstein“. Position der im Plöner Kreis versammelten Kommunen, vom April 2013 (Download)

1)  Vergl. hierzu Armin Albers, Ulrich Krause, Volker Kruse 2013: Übergangsgestaltung in Schleswig-Holstein: Handlungskonzept Schule – Arbeitswelt und Entwicklungsperspektiven, in: Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative (Hrsg.): Lokale Bildungsverantwortung. Kommunale Koordinierung beim Übergang von der Schule in die Arbeitswelt, Stuttgart, S.99-106